Zum Hauptinhalt springen

The Art of Participation – Der Beginn einer Reise

Im Corona-Jahr 2020 ist das Thema „Digitalisierung“ wieder in aller Munde. Wir reden, notgedrungen, noch stärker über Homeoffice, Digitalisierung der Schulen und dem IT-Fachkräftemangel1, der eine weitere Digitalisierung bremst. Eher selten wird hinterfragt, ob eine Digitalisierung aller Lebensbereiche tatsächlich sinnvoll ist und uns als Gesellschaft tatsächlich einen Mehrwert beschert.

Und das ist nur eins von vielen Problemen: Der Klimawandel und die resultierende Notwendigkeit für nachhaltiges Handeln; zunehmende Polarisierung in der Gesellschaft und die Entfremdung gerade in Städten sind nochmal andere. Wo fangen wir an?

Wo stehen wir als Gesellschaft?

Der schon erreichte Grad der Digitalisierung in allen möglichen Lebensbereichen beeinflusst unser Zusammenleben maßgeblich. So sehr, dass wir schon jetzt über einen Übergang in ein postdigitales Zeitalter nachdenken könnten und sollten.
Der Zukunftsforscher Matthias Horx beschreibt in einem Artikelwas Postdigitalität ausmachen könnte:

„[...] Postdigitalität heißt nicht das Ende digitaler Nutzungen, sondern das Ende des Totali- täts-Anspruch der Digitalität. [...] Postdigitalität heißt, dass wir uns vom Mythos der bedin- gungslosen Disruption verabschieden. Es gilt, in Zukunft wieder zwischen »besser« und »richtig« differenzieren zu lernen – zwischen »Innovationismus« und echtem Fortschritt. Die Propaganda des Digitalismus handelt ja davon, dass „unser aller Leben ständig verbessert werden muss”. Wirklich? Wenn in jeder Küche ein Koch-Roboter steht, macht das sinnliche Kochen keinen Spass mehr. [...]“

Zusammengefasst: Wir sollten uns als Gesellschaft Gedanken machen wie weit wir die Digitalisierung treiben wollen und was die Auswirkungen dabei sind.
Natürlich können digitale Plattformen und Tools aber auch helfen positive Veränderungen in der Gesellschaft herbeizuführen und z.B. Menschen zusammenzubringen oder Partizipation von Bürger*innen im urbanen Raum zu ermöglichen bzw. zu fördern. Ein Beispiel hierfür ist der Sandkasten der TU Braunschweig3, der eine Plattform für bottom-up Projekte bereitstellt. Partizipation im öffentlichen Leben ermöglicht den Bürger*innen nicht nur aktiv ihr Lebensumfeld zu verbessern, sondern befreit sie auch aus der einfachen Konsumentenrolle. Weiterhin können bei einer Identifizierung mit einer solchen aktiveren Rolle drängende Fragen und Projekte, z.B. zur Stärkung der Wiederverwendung von Materialien und damit einer Verbesserung der Nachhaltigkeit, schon auf unteren Ebenen der Gesellschaft angegangen werden. Nicht zuletzt können vermehrt „realweltliche“ Bekanntschaften geknüpft werden, was gegen Einsamkeit hilft.

Postdigitale Partizipation, d.h. für uns (als Projektteam) die Befähigung der Bürger*innen ihren urbanen Raum in einem postdigitalen Mindset maßgeblich mitzugestalten, ist ein durchaus erstrebenswertes Konzept.

Was wollen wir im Projekt erreichen?

Im Projekt „Menschen, digitale Intelligenz & Wiederverwertung – gemeinsam Stadtleben gestalten“ arbeiten wir, in den nächsten Jahren, mit einem interdisziplinären Team aus den Fachrichtungen Architekturbezogene Kunst, Informatik und Wirtschaftsinformatik daran, postdigitale Partizipation lokal zu erproben.

Klingt das zu abstrakt? Ja definitiv, daher etwas genauer:
Unsere Teilprojekte können grob in folgenden Prozess eingegliedert werden:

Unser Zusammenleben ist geprägt von einem Zeitgeist. Mit „Zeitgeist“ ist hierbei eine Sammlung an Ansichten zu unterschiedlichsten Themen gemeint, wobei jede Ansicht einem bestimmten Narrativ folgt. Beispiel: Deutschland verfügt über ein starkes Sozialsystem, was auf das Narrativ der „sozialen Marktwirtschaft“ zurückzuführen ist. Demnach sollte eine Marktwirtschaft einen sozialen Kern haben und in Not geratene Bürger*innen stützen. Die USA als Gegenpol verfügt über kein ausgeprägtes Sozialsystem, wobei dies weniger auf eine Nichtfinanzierbarkeit sondern mehr auf ein anderes Narrativ diesbezüglich zurückzuführen ist. Narrative haben dabei einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung der eigenen Umgebung. 4,5

Konkrete Ausprägungen solcher Narrative finden sich zuhauf im öffentlichen Diskurs. Der Informatikpart dieses Projekts beschäftigt sich zunächst damit den öffentlichen Diskurs (primär Zeitungsartikel und Social Media) zu analysieren um Hinweise auf aktuelle Narrative zu finden (identify) und diese Hinweise zu synthetisieren (synthesize) und damit konkrete Narrative zu erhalten. So können verschiedene Sichtweisen zu konkreten Themen wie Nachhaltigkeit oder Covid19 aufgezeigt und in einen Kontext gesetzt werden. Wer glaubt bspw. das Covid19 ein Hoax ist und warum wird diese Sichtweise vertreten? Welche Sichtweisen bestehen tatsächlich über Nachhaltigkeit in einer bestimmten Regionen? Ein System, welches auf großer Fläche solche Fragen beantworten kann (oder hilft sie zu beantworten) hilft Probleme und mögliches Verbesserungspotenziale im urbanen Raum (und darüber hinaus) aufzudecken. Aber weiter. Angenommen wir finden nun eine Lösung für ein identifiziertes Problem und wollen hierfür Unterstützter gewinnen, wie gehen wir vor? Eine Möglichkeit ist sich an den häufigst geteilten Narrativen der Zielgruppe für Unterstützer zu orientieren und ein neues Narrativ zu generieren, mit dem sich die Zielgruppe identifizieren kann. Wichtig hierbei ist das Narrativ geeignet zu transportieren um eine maximale Wirkung zu erreichen. 7,8

Ein Kernproblem wird das der Nachhaltigkeit sein. Im Teilprojekt der architekturbezogenen Kunst werden hierzu Wege zur Wiederverwendung diverser Materialien gesucht. Nachhaltigkeit fördernde Narrative können in diesem Zuge künstlerisch transportiert werden. Durchaus auch durch eine Kombination aus analogen und digitalen Wegen. Sind Narrativ und Transportweg stark genug sollte die Zielgruppe inspiriert (inspire) und sensibilisiert werden.

Nun fehlt noch der letzte Schritt. Wie holt man die Zielgruppe von dort aus ab und führt eine tatsächliche Umsetzung herbei? An dieser Stelle setzt die Wirtschaftsinformatik an.
Urbane Plattformen zur Bürgerbeteiligung gibt und gab es viele in der Vergangenheit. Viele davon haben/hatten ein ähnliches Ziel. Aber welche waren erfolgreich und die viel wichtigere Frage: warum waren sie erfolgreich? Wir haben zu diesem Zeitpunkt analysiert welche Sichtweisen und Probleme es zu einem bestimmten Thema gibt; haben ein Narrativ zu einem Lösungsansatz entworfen und dieses transportiert. Der letzte Punkt, dem sich die Wirtschaftsinformatik widmet ist damit, wie tatsächlich Handlungen herbeigeführt werden (propose action).

Im Kern des Prozesses steht der Gedanke digitale Mittel einzusetzen (z.B. während der Narrativsuche oder aber auch in der propose action Phase) aber Menschen realweltlich zusammenzubringen und zu mehr Partizipation in ihrem Lebensraum zu bewegen. Kurz: Partizipation erhöhen im postdigitalen Zeitalter.

Was passiert als nächstes?

Auch wenn Covid19 enge Teamarbeit etwas einschränkt, geht die Quest weiter! Konkrete Schritte sind z.B. das Verstehen wie Narrative entstehen, wie man sie sichtbar machen und auf generellere Narrative zurückführen kann. Weiterhin wird in Zusammenarbeit mit Studierenden der TU die Suche nach geeigneten Materialien und deren Verwendungszwecken fortgesetzt. Zuletzt geht auch die Suche nach Erfolgsfaktoren digitaler Partizipationsplattformen seinen Weg.

Literaturempfehlungen:

1. Ein Beispiel: https://www.heise.de/news/Unternehmen-koennen-offene-IT-Stellen-nur-schwer-besetzen-4906561.html

2. Horx, Matthias (n.d.): Das Postdigitale Zeitalter. Neun Thesen zur Digitalen Krise – und wie wir in Richtung auf eine Humane Digitalisie- rung vorankommen.
Online: https://www.horx.com/33-das-postdigitale-zeitalter/

3. https://www.sandkasten.tu-braunschweig.de/

4. Bruner, J. (1991). The narrative construction of reality. Critical
inquiry, 18(1), 1-21.

5. Bruner, J. S. (1990). Acts of meaning (Vol. 3). Harvard university press.

6. Green, M. C., & Brock, T. C. (2000). The role of transportation in the persuasiveness of public narratives. Journal of personality and social psychology, 79(5), 701.

7. Escalas, J. E. (2007). Self-referencing and persuasion: Narrative transportation versus analytical elaboration. Journal of Consumer Research, 33(4), 421-429.